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Ankommen in Österreich - Yasna - Stimmen aus dem Leben

In starken Worten teilt Yasna, eine junge Frau mit afghanischen Wurzeln, ihre Erfahrungen über ihre Ankunft als geflüchtete Person in Österreich. Sie floh mit ihrer Familie vom Iran nach Österreich, wo Yasna seit 2015 lebt und heute diplomierte Sozial- und Berufspädagogin ist.

In dem selbst verfassten Text “Ich wollte nicht.” erzählt Yasna in ehrlichen eindrucksvollen Worten von dem Tag, an dem sie in Österreich ankam. Im Interview “Fluchterfahrung zu haben ist eine Stärke” erklärt sie in 8 Fragen, was es für sie bedeutet, zu flüchten und in einem neuen Land anzukommen.


Ich wollte nicht.

Nachdem wir unsere Namen, Familiennamen und Alter bekannt gegeben haben, führten sie uns zu einem Gebäude. Darin waren Polizisten. Sie hatten weiße Handschuhe an und durchsuchten unsere Taschen. Wonach wussten wir nicht. Sie fanden ein Messer. Wir hatten es zum Obstschälen benutzt. Der Polizist schaute den anderen Polizisten an und wartete auf seine Reaktion. Wir alle waren irgendwie nervös. Mein Vater sagte dem Polizisten mit Handbewegungen und Körpersprache, es sei zum Obstschälen. Der Blick des Polizisten blieb auf dem Hals von meinem 8-jährigen  Bruder hängen. Der andere Polizist nahm die Halskette, die mein Bruder unterwegs nach Österreich gefunden hatte, von seinem Hals. Wir hatten kein gutes Gefühl dabei. Wir haben nichts von dem verstanden, was sie miteinander sprachen. Schließlich sagten sie, wir müssen mitkommen.

Ein Polizeiwagen wartete vor dem Gebäude. Wir stiegen alle ins Auto - besser gesagt eine metallene Kabine, ungefähr 1.1 Quadratmeter groß mit ebenfalls aus Metall gebauten Sitzplätzen. In der Ecke der Decke befand sich eine Überwachungskamera und es gab ein kleines käfigartiges Fenster. Meine Augen waren voll von Tränen. Ich sagte meiner Familie, sie würden uns sicher abschieben. Mein Vater schimpfte  mit meinem kleinen Bruder, weil er die Halskette genommen hatte. Das Gesicht meines Vaters war rot.  Nach 30 oder 45 Minuten Fahrt, blieb der Polizeiwagen stehen. Ein kleiner Hof. Wir gingen die Treppen hinauf in ein Zimmer. Zwei Polizistinnen sagten meiner Mutter, meiner Schwester und mir, dass wir mit ihnen mitgehen müssen. Wir gingen in ein Zimmer. Dort sagten sie uns, dass wir uns ausziehen müssen. Ich schaute zu meiner Mutter und meiner Schwester und wartete auf ihre Reaktion. Ich fragte sie: „Wieso sagen sie, dass wir uns ausziehen müssen? Was haben wir denn gemacht?“ Mein Kopf war nach vorne gebeugt. Ganz nackt stand ich vor ihnen. Eine furchtbar unangenehme Situation: Du stehst nackt vor zwei Polizistinnen und weißt nicht einmal wieso. Mit einer Hand versteckte ich meine Vulva, mit der anderen meine Nippel. Ich wusste nur: Ich wollte all das nicht.

Yasna Ibrahimi (geb. 1997, Ghom, Iran), seit 2015 in Österreich


Fluchterfahrung zu haben ist eine Stärke - 8 Fragen an Yasna


  1. Was ist deine Fluchtgeschichte?


Genau kann ich diese Frage nicht beantworten, aber es ist wie eine Wunde, die anfängt, all deine Körperteile zu infizieren und um dich selbst zu retten, musst du deine Glieder amputieren.



  1. Was bedeutet Flucht für dich?


Flucht heißt für mich: Raus aus der Komfortzone, Spontanität, Anpassungsfähigkeit.

Viele Menschen sehen Flucht negativ, aber man entwickelt auch viele Kompetenzen daraus.



  1. Was bedeutet Ankommen für dich?


Ankommen heißt für mich, nicht immer wieder gesagt zu bekommen:

“Du sprichst aber sehr gut Deutsch…..”


Oder wenn ich jemandem sage, dass ich gerne eine Tracht anziehen möchte und mir mein Gegenüber nicht sagt, das würde ihm oder ihr nicht authentisch vorkommen oder mir nicht stehen….und dann fragt: “Vielleicht hast du ein afghanisches Kleid?”


Wenn mir jemand sagt: “Ja du bist anders, ich meine andere Ausländer…..Du bist schon integriert.” Es fühlt sich für mich manchmal so an, als ob ob die Menschen denken, ich wäre in meinem Heimatland ein wildes Tier gewesen und hätte nicht unter Menschen gelebt und wenn ich nach Österreich komme, erwartet man von mir, dass ich mich integriere, um gezähmt zu werden.


Ich glaube, wenn man sich wo zuhause fühlen soll, braucht man das Gefühl, dass man nicht als “anders” wahrgenommen wird. Ich habe auch von einer Freundin, die in Österreich geboren ist, gehört, dass sie immer wieder gefragt wird, woher sie kommt.

Und wenn sie sagt: “Aus Österreich”, möchte sie nicht wieder gefragt werden: “Ich meine, woher kommst du ursprünglich…..?” oder “Woher kommen deine Eltern?”



  1. Was gab dir Halt?


Meine Familie, die freundliche Art und Unterstützung der Menschen, die uns damals unterstützt haben und noch immer helfen und unterstützen. Alle Leute, die mich unterstützten. Meine Lehrer:innen im BORG Birkfeld, Freund:innen, ehrenamtliche Mitarbeiter:innen und die Intuition der Menschen im Birkfeld. Die Leute, die mir zum ersten Mal das Gefühl gegeben haben, dass ich auch ein Mensch bin und Würde habe und die mich wie ein Mensch behandelt haben. Die Leute, die mir einen schönen Eindruck von Österreich und seinen netten Leuten gegeben haben.



  1. Welche Rolle hat die österreichische Gesellschaft für dich gespielt?


Ich glaube, die österreichische Gesellschaft hat für mich beim Ankommen eine ganz wichtige Rolle gespielt. Wenn ich am Anfang nicht so schöne Begegnungen erlebt hätte, vielleicht hätte ich es mir anders überlegt, vielleicht hätte ich in ein anderes Land gewollt.



  1. Welche Rolle hat Kontakt zu Österreicher:innen (oder Menschen, die schon lange in Österreich gewohnt haben) für dich gespielt?


Als ich in Österreich ankam, hat mir der Kontakt zu Österreicher:innen geholfen, meine deutsche Sprache zu verbessern. Er hat mir auch geholfen, Dinge, die ich von meinen Eltern einfach nur gelernt habe, zu hinterfragen, reflektierter zu sein. Immer zu hinterfragen: “Warum, wieso, weshalb?” und Dinge nicht einfach nur deshalb zu akzeptieren, weil Menschen sie schon lange so gemacht haben.



  1. Was glaubst du, würde geflüchteten Menschen in Österreich helfen?


Kontakte, Kontakte und Kontakte…und, dass ihnen Chancen und Möglichkeiten gegeben werden.  - Vielleicht am Anfang mit Händen und Füßen, aber mit der Zeit wird es immer einfacher.

Wenn ich keine netten Menschen in Österreich getroffen hätte, hätte ich mich nicht anstrengt, die Sprache zu lernen und mit ihnen meine Gefühle zu teilen. Das war eine große Motivation. Und die zweite große Motivation, war das Bedürfnis, Deutsch zu lernen: Wenn du weißt, das ist der einzige Weg, über deine Gefühle zu reden oder dich und deine Rechte zu verteidigen, dann tust du das.



  1. Was möchtest du mit den Leser:innen zum Thema Flucht, Migration und Inklusion noch teilen, was sie wissen sollten?


Fluchterfahrung zu haben ist eine Stärke.


 
 
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